Vor einiger Zeit habe ich mit Louce und Ronin von Parfumo gesprochen (hier), und da die beiden wirklich eine Menge über Parfum wissen und ich gerne Fragen stelle, schweifte das Gespräch immer wieder ab. Und weil es zu schade wäre, meine gewonnenen Erkenntnisse nicht zu teilen, präsentiere ich hier die Outtakes!

Recap, oder, was bisher geschah

Louce und Ronin sind Mitglieder von Parfumo, einer der größten Parfum-Seiten im Netz. Beide schreiben für Parfumo, interviewen die größten Parfümeure unserer Zeit und es gibt quasi nichts zum Thema Parfum, was sie nicht wissen. In unserem Interview ging es darum, das passende Parfum für sich zu finden, um die Haltbarkeit, Hautchemie, Parfumnoten, natürliche und synthetische Düfte und Mainstream versus Nischenparfums. In den nun folgenden Outtakes dringen wir um einiges tiefer in die Materie ein!

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Louce: Parfum kann Kunst sein

“Jahrtausendelang war Parfümerie Kunsthandwerk. Aus der Natur wurde das genommen, woraus man Duftstoffen extrahieren konnte, und das wurde zusammengemischt. Anfang des letzten Jahrhunderts gab es dann bahnbrechende Entwicklungen in der Chemie. Synthetische Duftstoffe wurden erfunden. Plötzlich konnten Duftstoffe geschaffen werden. Vorher fragte sich ein Parfümeur: Was kann ich machen? Mit der Erweiterung der Duftstoffpalette um synthetische Stoffe konnte er sich fragen: Was will ich machen? Im Vergleich mit Wein – Wein ist Kunsthandwerk. Winzer gehen mit Stoffen um, die die Natur bereit stellt. Man kann kunsthandwerklich eine enorme Finesse entwickeln und ganz weit gehen. Aber die Grenze zur Kunst ist, dass das Material einen unveränderlichen Rahmen setzt. In der Parfümerie ist zur Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert genau diese Schallmauer durchbrochen worden. Heute kann man mit Recht davon ausgehen, dass sie Kunst sein kann. Nicht muss, aber kann.”

So viele Parfums
So viele Parfums!

 

Louce zu Parfum-Genres

“Es gibt unterschiedliche Duftfamilien – Genres. Genauso wie man beim Film Actionfilme, Liebesfilme und science fiction als Genres bezeichnet, kann man auch bei Parfum von Genres sprechen. Die nennt man dann „Familien“, z.B. „orientalisch“, „Chypre“, „blumig“ oder „Fougère“. Innerhalb dieser Genres gibt es Unter-Genres. Es gibt Noten, die typischerweise in einer Duftfamilie auftauchen; Vanille zum Beispiel ist eine notorische Komponente orientalischer Parfums, aber sie kann auch in allen anderen verwendet werden – und wird es auch. Noten und vor allem Akkorde aus Noten machen die Duftfamilien aus, aber es gibt keine Festlegung: mit den Genres, Untergenres, notorischen und außergewöhnlichen Noten kann viel gespielt werden. Quasi interdisziplinär.”

 

Ronin: Warum es toll ist, dass es synthetisches Moschus gibt.

“Moschus ist eine DER klassischen Parfumbasisnoten und wird schon seit Jahrhunderten eingesetzt. Am ehesten kann der Geruch als der warmer Haut beschrieben werden. Natürlicher Moschus wurde aus Drüsen der Moschushirsche gewonnen und die Tiere wurden dafür getötet. Deswegen gehören Moschushirsche zu den vom Aussterben bedrohten Tierarten. Glücklicherweise startete schon Ende des 19. Jahrhunderts die Suche nach synthetischen Ersatzstoffen; es gibt mittlerweile hunderte synthetische Moschusverbindungen und natürlicher, tierischer Moschus wird nicht mehr in Parfums eingesetzt. Klassischerweise ist Moschus eine Basisnote und erst spät im Verlauf zu riechen – mit der Erweiterung der Palette gibt es mittlerweile sogar Duftstoffe, die sich als Herz- oder Kopfnote eignen. Das ist eine spannende Entwicklung, die in Parfümerieentwicklung häufiger zu beobachten ist: der Bedarf an Moschus war von über 100 Jahren so groß, dass er mit natürlichen Quellen nicht gedeckt werden konnte. Das führte zur Suche nach Alternativen – und heute ist die Verfügbarkeit und Vielfalt größer als jemals zuvor.”

 

Die Wahrnehmung, oder ‚Warum riecht das Parfum an mir anders als an dir?’

Louce: “Ich nehme Dinge an anderen anders wahr als an mir selbst. Das ist ein Ergebnis der Evolution und ganz normale Psychologie. Ich-Wahrnehmung ist anders als Fremdwahrnehmung – und das liegt nicht an der Haut, sondern am Hirn. Überhaupt ist Duftwahrnehmung von vielen psychologischen Faktoren bestimmt: der Geruchssinn ist der einzige unserer Wahrnehmungssinne, der durch das limbische System und andere Teile meines Hirns geht, bevor er im kognitiven Bereich ankommt. Das heißt, Geruch, von der Sinneswahrnehmung auf der Nervenzelle auf der Nasenschleimhaut bis zum kognitiven Bereich, durchläuft eine lange Bahn. Was auf diesem Weg vor der bewussten Wahrnehmung alles passiert und beeinflusst wird, wird „höhere olfaktorische Funktionen“ genannt. All das ist unbewusst. Und es verändert den bewussten Teil der Wahrnehmung. Ich rieche Düfte an mir selbst anders als an anderen. Ich rieche Düfte an Männern anders als an Frauen. Ich rieche Düfte anders an Menschen, die mir nahe stehen als an Fremden und so weiter.”

Ronin: “Nehmen wir als konkretes Beispiel „Charmes & Feuilles“ von The Different Company, ein sehr grüner Duft mit einer Menge Kräutern und viel Jasmin. Von Kräutern sagt man gemeinhin, dass sie typisch für männliche Düfte seien, während Jasmin weiblich konnotiert ist. Sprühe ich dieses Parfum auf, rieche ich an mir selbst deutlich die Kräuter. An Louce hingegen wirkt das ganze viel blumiger auf mich. Wenn ich allerdings unsere beiden Handgelenke nebeneinander rieche, erkenne ich auf einmal keinen Unterschied mehr.”

Outtake mit Pinot, Louces und Ronins Hund.
Outtake mit Pinot, Louces und Ronins Hund.

 

Louce: Man kann riechen lernen!

“Manche Menschen können bestimmte Duftstoffe nicht wahrnehmen, oder manche Stoffe zwar irgendwie, aber ohne dass sie einen starken Eindruck hinterlassen – weil die Übung fehlt, sie wahrzunehmen. Unsere nervliche Sinneswahrnehmung ist gekoppelt mit Erinnerung, und wenn sich bestimmte Erinnerungsmuster im Hirn gebildet haben, können sie schneller und prägnanter abgerufen werden, wenn derselbe Stoff aufgenommen wird. Die Aufnahme und die bewusste Wahrnehmung eines Stoffes sind zwei unterschiedliche Dinge. Das heißt ich kann einen Stoff aufnehmen, also riechen, aber nicht bewusst wahrnehmen. Wenn ich Erinnerungsmuster ausgebildet habe, dann springt die Wahrnehmung an. Man kann geringerer Sensibilität, oder sogar Anosmien mit Training begegnen. Wenn man zum Beispiel nach Unfall oder Krankheit seinen Geruchssinn verloren hat, oder einfach schon immer „duftblind“ für gewisse Verbindungen gewesen ist, dann aber regelmäßig, und immer wieder übt, kann das reversibel sein. Die Zusammensetzung und Anzahl von Sinneszellen auf der Nasenschleimhaut ist beweglich. Wir können sie durch Training verändern. Sensibilität ist per se veränderlich und zumindest ein Teil der Anosmien ist es auch.”

 

Zur EU Verordnung, die die Möglichkeit von Allergenen in Parfums regulieren soll

Louce: “Die Frage ist: Warum sollen wir alle auf Stoffe in Parfums verzichten, bei denen eine gewisse Gefährdung besteht, der man aber anders begegnen kann, als mit Verbot und radikaler Einschränkung? Eine Kontaktallergie auf Duftstoffe haben etwa ein bis drei Prozent der Bevölkerung. Keiner von diesen ein bis drei Prozent ist in Lebensgefahr. Natürlich müssen diese ein bis drei Prozent gut informiert und auch gewarnt werden, dass so ein Stoff in einem Parfum enthalten ist.

Ich mag den Vergleich mit Rohmilchkäse. In der EU gab es den Versuch, Herstellung und Verkauf von Rohmilchkäse einzuschränken oder gar zu verbieten. Hier besteht Lebensgefahr – trotzdem wurde eine Lösung gefunden. Es gab heftigen Einspruch, denn Rohmilchkäse bedeutet viel für die europäischen Regionen; es gibt sehr viel kunsthandwerkliche, regionale Käsetraditionen. Was ist die Normandie, was ist die Provence und was sind die Schweizer Alpen ohne ihren Käse? Deshalb wurde einfach die Information auf Verpackungen gedruckt, ‚Rohmilchkäse schadet ungeborenen Kindern’. Wenn ich schwanger bin, weiß ich das nun. Trotzdem kann der Käse noch verkauft werden. Und im Gegensatz hierzu geht’s bei Parfum auch noch um eine ganze Kunstdisziplin und ich finde, es muss Sorgfalt angewendet werden, wenn ich auf der einen Seite den Gesundheitsschutz und auf der anderen Seite den Kulturschutz habe.”

 

Die Deklarationspflicht und die Vaseline

Ronin: “Die Deklarationspflicht wurde deutlich ausgeweitet, d. h. die Rückenetiketten werden länger. Die Auswahl der Stoffe, die deklariert werden müssen, ist nicht ganz glücklich. Stoffe müssen jetzt aufgelistet werden, auf die nur 0,05% der Probanden Anzeichen einer allergischen Reaktion hatten – 0,05% ist mehr als nichts, allerdings kaum größer als die Allergierate auf Vaseline mit 0,03%. Und Vaseline wird als Träger für Allergietest genommen, eben weil es praktisch kein allergenes Potenzial hat.”

 

Ein großes Dankeschön an Louce und Ronin für ihre Geduld mit meinen ganzen Fragen und die Zeit, die sie sich für uns genommen haben!