In unserer neuen Reihe ‚Ask the expert’ werden wir uns für Euch von Zeit zu Zeit mit Experten zusammensetzten, um sie mit Fragen zu löchern. Wir planen aufregende Themen! Diese Ausgabe befasst sich mit Parfum. Die meisten von uns werden eines tragen, vielleicht auch mehrere Flaschen zu Hause stehen haben, aber ganz ehrlich, zumindest für mich und Astrid ist Parfum immer die vernachlässigte Stiefschwester von Makeup. Wir haben uns deshalb mit Louce  und Ronin von Parfumo getroffen und sie zu allem befragt, was man über Parfum wissen sollte. (Die englische Fassung des Interviews findet Ihr hier!)

Parfumo ist die größte deutschsprachige Internet-Plattform zum Thema Parfum und hat außerdem die größte Parfumdatenbank weltweit. Louce und Ronin sind seit 5 bzw. 4 Jahren bei Parfumo, haben sich dort kennengelernt (und sind inzwischen verheiratet) und führen auf dem Parfumo-Blog Interviews mit den größten Parfümeuren der Welt und berichten über Events.

 

twindly: Womit hat Eure Leidenschaft zu Parfum begonnen?

Ronin: Ich habe Chemie studiert und mich schon immer für Duftstoffe interessiert. Außerdem finde ich Wein faszinierend, wovon Parfum nicht mehr weit weg ist– beides ist eine sinnliche Erfahrung, bei beidem geht es um’s Riechen, und die Fragen, die man sich stellt, sind ähnlich: Wie funktioniert das? Warum gefällt mir dies, das aber nicht?

Louce: Ich bin über die Theorie zur engagierteren Beschäftigung mit Parfum gekommen. Ich habe mich während meines Studiums viel mit ästhetischer Theorie beschäftigt, also der Theorie hinter der Kunst. Als ich dann angefangen habe, mich mehr für Parfum zu interessieren und spannendere Parfums tragen wollte, habe ich gemerkt, dass alles, was ich schon abstrakt wusste, prima auch zum Thema olfaktorische Kunst passt.

Parfum-Favouriten von Ronin und Louce.
Parfum-Favouriten von Ronin und Louce: Jicky von Guerlain, Narcisse Noir (Caron), Lumière Noire pour homme (Francis Kurkdjian) und Tabac Blond (Caron).

 

twindly: Die interessanteste Frage bei Thema Parfum für jeden Laien ist vermutlich, wie man das passende Parfum für sich selbst findet. Wie finde ich also ‚mein’ Parfum?

Louce: Testen.

Ronin: Nur testen kann schwierig sein, weil man nach fünf Düften eh keinen mehr riechen kann.

Louce: Man sollte sich vorher informieren. Wenn man einen Duft hat, den man mag, weiß man schnell, in welche Richtung man sich orientieren kann. Dann kann man in eine Parfümerie gehen und sagen ‚ich mag Shalimar – was riecht so ähnlich?’. Man braucht gar nicht unbedingt die Noten wissen, die darin sind oder das Genre, zu dem der Duft gehört. Wenn ich aber schon weiß, dass ich grundsätzlich zum Beispiel Rosendüfte mag, und generell blumige eher als animalische oder grüne Düfte, dann kann ich zum Beispiel bei Parfumo recherchieren, um mich vorzubereiten und Duftnoten und Genres kennenzulernen.

Ronin: Wenn man grundsätzlich eine Richtung gefunden hat, aber noch nicht das passende Parfum, kann man auch mal einfach in eine eher kleine Parfümerie gehen, in der man sich wirklich Zeit für die Kunden nimmt, und sich beraten lassen. Dann kann man sich vortasten. Wenn man rausgefunden hat, dass das, was man mag, ein Chypre ist, kann man sich weiter vorwagen – mag ich einen Chypre mit Rose? Oder mag ich einen mit Jasmin? Man kann auch Parfümeure recherchieren. Gewisse Parfümeure haben eine spezielle Handschrift. Das kann eine Ähnlichkeit sein, die über Duftnoten hinausgeht.

Louce: Das ist wie Malerei. Es gibt auch in der Parfümerie Stile. Selbst wenn man keine Ahnung von Kunstgeschichte hat, kann man Rothko toll finden und sich über’s Sofa hängen. Es geht um persönliches Gefallen. Wenn ich mich gut damit fühle und Spaß daran habe – prima!

 

twindly: Muss ich als Parfumanfänger etwas über Kopf- und Herznoten wissen, und ist das überhaupt wichtig?

Ronin: Der Logik nach durchlaufen Parfums Kopf-, Herz- und Basisnote. Es gibt Noten, die schneller verfliegen als andere. Das sind Kopfnoten, typischerweise fruchtig-frisch. Herznoten brauchen ein bisschen länger und sind im Prinzip von Anfang an da, man merkt sie nur nicht sofort, weil die Kopfnoten dominant sind. Blumen und Gewürze sind typische Herznoten. Zum Schluss kommen die Basisnoten. Die sind auch schon von Anfang an da, kommen aber erst ganz zum Schluss in die Nase. Sie sind meist süß, harzig oder warm. Inzwischen ist allerdings die Palette an Duftstoffen durch neue synthetische Substanzen so vielfältig, dass Parfums zum Beispiel auch im Kopf bereits harzig oder in der Basis frisch riechen können. Es ist so sogar möglich, dass es gar keinen Duftverlauf gibt und das Parfum über Stunden gleich riecht.

Yellow Sea von M. Micellef
Yellow Sea von M. Micellef – genau dieses Flakon haben die Beiden von Martine Micellef in Grasse bei ihrem ersten Interview geschenkt bekommen.

 

twindly: Das heißt, Ihr findet synthetische Duftstoffe nicht wirklich kontrovers?

Ronin: Richtig. Beim Verlauf eines Parfums sind sie bereichernd. Der ästhetische Anspruch hat sich einfach verändert. Einige Parfümeure wollen inzwischen, dass sich die Akkorde der Duftnoten gerade nicht verändern, sondern konstant bleiben. Für den großen Parfümeur Francis Kurkdjian zum Beispiel ist es ein Zeichen von Qualität, wenn sich die Verhältnisse der Duftkomponenten nicht verändern und von Anfang bis zum Ende die gleiche Spannung zwischen den Noten besteht.

Louce: Früher war der Verlauf der Entwicklung zwingend. Heute ist es eine gestalterische Entscheidung. Es gibt keinen natürlichen Zwang zu einer bestimmten Dramaturgie mehr.

 

twindly: Bei der Diskussion ‚natürlich’ versus ‚synthetisch’ ist häufig direkt ein Qualitätsurteil impliziert. Ist ein Duftstoff besser, wenn er natürlich ist?

Ronin: Nein. Die Parfümeurin Céline Ellena hat mal gesagt, dass natürliche Duftstoffe wie eine Melodie sind und synthetische wie der Takt. Wenn ich nur natürliche Noten kombiniere, dann fehlt die Struktur und ich habe kein Lied, sondern Straßenlärm. Ich brauche die synthetischen Noten, um den Takt zu geben. Es ist nicht die Frage, was besser ist – beide haben unterschiedliche Nutzen und Ansprüche. Natur heißt nicht unbedingt, dass etwas natürlich riecht – und umgekehrt. Die Duftstoffe einer Rose kann man zum Beispiel mit einem klassischen Destillationsverfahren gar nicht zerstörungsfrei isolieren, so dass ein Rosenöl selbst bester Qualität immer etwas „Eingekochtes“ hat und an Seife erinnert. Wenn heute jemand versucht, ein besonders ‚natürlich’ riechendes Rosenparfum zu schaffen, greift er voll in die Palette der synthetischen Duftstoffe.

Ronin: Natürliche Duftstoffe sind auch nicht ökologischer. Sandelholz steht inzwischen zum Teil unter Naturschutz, weil der Bedarf aus der Parfümerie so hoch war. Da sind mittlerweile ganze Ökosysteme in Gefahr.

Louce: Und diese Meinung, synthetische Stoffe seien so ungesund, ist Blödsinn. Natürliche ätherische Öle bestehen chemisch gesehen aus einer riesigen Menge an Stoffen. Synthetische Stoffe sind sehr viel schlanker. Freilich habe ich größere Chancen auf einen natürlichen Inhaltstoff allergisch zu sein als auf einen synthetischen!

Eine kleine Sammlung von Hèrmes Düften - besonders Ronin ist Fan.
Eine kleine Sammlung von Hèrmes Düften – besonders Ronin ist Fan.

 

twindly: Sind Mainstream- oder Nischendüfte besser?

Ronin: Mainstream sagt nur, dass man ein Parfum überall bekommen kann. Und Nische bedeutet, dass man es eben nicht überall bekommt. Warum, ist eine andere Sache. Es kann sein, dass eine kleine Marke keine Markenmacht hat. Es kann sein, dass ein Parfümeur Rohstoffe benutzt, die es nicht in großen Mengen gibt. Oder jemand möchte sich künstlerisch ausdrücken und gar nicht den Mehrheitsgeschmack treffen. […] Wenn man einen Duft sucht, der besonders ausdrucksstark ist – nicht besser oder schlechter – wird man vermutlich in der Nische eher fündig.

Louce: Es kann aber auch sein, dass billiger Quatsch zusammengerührt ist und durch Marketing eine künstliche Verknappung suggeriert wird.

Ronin: Oder jemand möchte sich selbst verwirklichen, hat aber keine Ahnung von Parfümerie. Das wird man im Mainstream nicht finden, da findet man eigentlich nur gute Parfümeure. Die können nur vielleicht nicht alles machen, was sie möchten, weil es zu teuer ist, ihnen die Zeit fehlt oder man in möglichst kurzer Zeit die Entwicklungskosten wieder reingeholt haben will.

 

twindly: Muss der Parfum-Newbie etwas über Hautchemie wissen, besonders, wenn ich neue Düfte testen will?

Ronin: Hautchemie gibt es nicht – zumindest nicht in dem Sinn, dass irgendein Stoff in oder auf der Haut mit dem Parfum reagiert. Duftstoffe sind so konzipiert, dass sie sich nicht verändern, wenn die Haut sauer, basisch, trocken oder fettig ist – und auch nicht mit den Mikroorganismen und Bakterien reagieren, die auf der Haut leben. Natürlich hat jeder von uns einen Eigengeruch – der sich dann mit dem Parfum überlagert zu etwas Neuem – aber nur in absoluter Hautnähe, denn der natürliche Eigengeruch ist nur auf sehr kurze Distanz riechbar. Trockene oder fettige Haut spielt allerdings bei der Haltbarkeit eine große Rolle.

Comme des Garcons und
Comme des Garcons 2 (liegend) von Mark Buxton und Escentric 01 (stehend) von Geza Schön – beide Parfümeure haben Louce und Ronin interviewt und empfinden die hier gezeigten Parfums als das Meisterwerk des jeweiligen Parfümeurs.

 

twindly: Kann das gleiche Parfum eine unterschiedliche Haltbarkeit an verschiedenen Personen haben?

Louce: Der Faktor trockene oder fettige Haut kann die Entwicklung eines Parfums beeinflussen. Zum gleichen Zeitpunkt aufgesprüht, kann bei Dir Herz und Basis schon zu riechen sein, während bei mir noch die Kopfnote duftet. Und dann sagen Leute ‚das riecht an dir und mir komplett unterschiedlich!’, aber eigentlich ist es der gleiche Duft.

Ronin: Es gibt immer eine Adaption an Parfums, die man oft trägt, sodass man sich an Düfte, oder Teile der Düfte gewöhnt. Was nicht zu unterschätzen ist: ein Parfum riecht anders, wenn ich meine Nase direkt an die Haut presse oder zwei Meter weiter entfernt bin oder in einen Raum komme, in dem es aufgesprüht wurde. Gerade animalische Basisnoten sind extrem hautnah – das rieche ich gar nicht, wenn ich weiter entfernt bin.

Louce: Beim Thema Hautchemie wird immer übertrieben. Die Leute fahren so auf diese Idee der Besonderheit ab und übertreiben dann bei der Schilderung ihrer eigenen Wahrnehmungen.

Ronin: Wenn man ein Parfum testet, es aber anders wahrnimmt, können auch Parfumreste der Grund sein. Es ist erstaunlich, wie lange manche Düfte auf der Haut haften und wieder Duftstoffe abgeben, sobald sie mit Wasser oder Alkohol in Berührung kommen. Das beeinflusst natürlich auch den Duft des Parfums, das man darüber sprüht. Ich vermute aber, die Idee der Hautchemie ist eine Legende, die erfunden wurde, um der Parfümeriefachverkäuferin zu helfen. Denn die muss ja irgendwie damit klarkommen, dass ein empfohlenes Parfum nicht gemocht wird. Und so ist man dazu übergegangen zu sagen ‚oh, der riecht an Ihnen auch anders’.

Louce: Eventuell kann ich aber auch anosmisch sein und kann dann bestimmte Duftstoffe gar nicht riechen. Oder aber sie hinterlassen keinen starken Eindruck bei mir, weil ich nicht geübt darin bin, sie wahrzunehmen. Wenn ich aber regelmäßig übe, kann ich sie irgendwann riechen. Es gibt viele Faktoren, warum ich ein Parfum so oder so rieche und dann noch mehr Faktoren, ob ich es ganz persönlich mag.

 

Twindly: Vielen, vielen Dank Louce und Ronin!